Wahldebakel in Österreich: Nach der Wahl ist vor der Neuwahl
Torben Grombery
Im Wahlchaos um die Stichwahl zum österreichischen Bundespräsidenten zeichnet sich eine Anfechtung der Wahl wegen zahlreicher »Unregelmäßigkeiten« immer deutlicher ab. Man muss kein Jurist sein, um prognostizieren zu können, dass mit einem derartigen Aufgebot an »Wahlpannen« ‒ und bei einem Abstand von 30 863 Stimmen ‒ eine Mandatsrelevanz relativ leicht zu begründen ist.
In den sozialen Netzwerken im Internet und in den Kommentarspalten unterhalb der Artikel über die zahlreichen »Wahlpannen« bei der Stichwahl zum nächsten Bundespräsidenten der Alpenrepublik Österreich, die alleine schon deswegen einen bitteren Beigeschmack hat, weil sie erst durch die Briefwahlstimmen entschieden wurde, ist der sprichwörtliche Teufel los.
»Diese BP-Wahl stinkt gewaltig zum Himmel« sind die derzeit meistgenutzten und noch freundlicheren Worte über den Ausgang und die Umstände der Stichwahl vom 22. Mai.
Das für die Wahl zuständige österreichische Bundesinnenministerium, für das der ÖVP-Politiker Wolfgang Sobotka (60) als Minister verantwortlich zeichnet, musste bereits bei der Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses der Stichwahl den Vorsprung von Alexander Van der Bellen (Ex-Grüner) auf Norbert Hofer (FPÖ) von zuvor 31 026 Stimmen (vorläufiges Ergebnis) auf nunmehr 30 863 Stimmen herunterkorrigieren.
Das prozentuale Endergebnis von 50,3 zu 49,7 Prozent wurde dadurch nicht beeinträchtigt.
Dieser Umstand wurde laut offiziellen Angaben aus dem Innenministerium auf einen »Eingabefehler in das Computersystem« zurückgeführt. So wurden nach der Auszählung der Briefwahlstimmen in der rund 11 000 Einwohner zählenden Gemeinde Waidhofen an der Ybbs 13 262 abgegebene Stimmen ausgewiesen, was einer Wahlbeteiligung von 146,9 Prozent entspricht.
Die als chaotisch zu bezeichnenden Vorgänge während des Wahlgangs und direkt im Anschluss an diesen lassen sich bestens an einer kürzlich herausgegebenen Pressemitteilung des Ministeriumsablesen.
»Fehlerhafte Wahlergebnisse
Wahlbehörde zeigt Villach anDas am 23. Mai bekannt gewordene fehlerhafte Wahlergebnis aus Waidhofen an der Ybbs ist auf einen Fehler der Landeswahlbehörde NÖ zurückzuführen. Die Statutarstadt hatte ein korrektes Ergebnis übermittelt, jedoch kam es in der Landeswahlbehörde zu einem Fehler bei der Datenverarbeitung. Das Innenministerium erhielt dadurch falsche Daten und geht davon aus, dass die niederösterreichische Landeswahlbehörde künftig alles unternehmen wird, um Derartiges zu vermeiden. Statt der 1058 Wahlkartenwähler waren irrtümlich die gesamten Stimmen von 7160 Wählern mit den am Sonntag gemeldeten 6102 Urnenwählern zusammengezählt worden. Auf der Homepage des Innenministeriums waren somit 13 262 Stimmen angeführt, obwohl Waidhofen nur 9026 Wahlberechtigte hatte.Für die zusammengefassten Ergebnisse der Linzer Sondersprengel ergab sich eine Beteiligung von mehr als 100 Prozent. Zwar wurden rund 3000 Wahlberechtigte, aber 21 000 abgegebene Stimmen aufgelistet. Hier liegt das Problem darin, dass ›die Ergebnisse der Briefwahl mit den Ergebnissen der mobilen Kommissionen vermischt und als Sondersprengel bezeichnet‹ worden seien, sagte die Leiterin der Linzer Wahlbehörde. Die Zahlen seien aber korrekt, nur die beiden Kategorien müssten getrennt dargestellt werden.Verdachtsfälle sind auch in Kärnten bei der Briefwahl aufgetreten. Neben dem bereits gestern bekannt gewordenen Verdachtsfall in Villach Stadt, den die Wahlbehörde des Innenministeriums der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zur Prüfung übermittelt hat, sind heute der Bundeswahlbehörde Unregelmäßigkeiten aus drei weiteren Bezirken in Kärnten zur Kenntnis gebracht worden, nämlich aus Villach Land, Wolfsberg und Hermagor. Das Innenministerium hat bereits eine Nachtragsanzeige an die WKStA gelegt und die Mitglieder der Bundeswahlbehörde über den Sachverhalt informiert. Für das Innenministerium hat die Aufklärung dieser in Verdacht stehenden Unregelmäßigkeiten Priorität.«
Damit ist das Reservoir an Wahlfehlern, Unregelmäßigkeiten und Pannen allerdings bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. So erlangte auch die Gemeinde Miesenbach im Bezirk Wiener NeustadtLand österreichweite Berühmtheit.
Dort sind nach derzeitigem Kenntnisstand mindestens 14 noch nicht wahlberechtigte unter 16-Jährige als wahlberechtigt geführt worden. Nachweislich sechs Jugendliche aus diesem Personenkreis haben dann auch an der Wahl teilgenommen – eingeladen sogar von den Parteien, die die Einladungen direkt an die Jugendlichen ab 14 Jahren versandt hatten. Im Miesenbacher Gemeinderat sind elf ÖVP-Mandatsträger und vier SPÖ-Mandatsträger vertreten.
Dort sind nach derzeitigem Kenntnisstand mindestens 14 noch nicht wahlberechtigte unter 16-Jährige als wahlberechtigt geführt worden. Nachweislich sechs Jugendliche aus diesem Personenkreis haben dann auch an der Wahl teilgenommen – eingeladen sogar von den Parteien, die die Einladungen direkt an die Jugendlichen ab 14 Jahren versandt hatten. Im Miesenbacher Gemeinderat sind elf ÖVP-Mandatsträger und vier SPÖ-Mandatsträger vertreten.
In weiteren zwei Gemeinden im Bezirk Rohrbach soll es bei der Stichwahl ebenso zu »Unregelmäßigkeiten« gekommen sein. In der Gemeinde Helfenberg soll der amtierende Bürgermeister Stimmzettel zerrissen haben, in der Gemeinde Ahorn durfte eine Frau nicht an der Wahl teilnehmen, weil sie als Briefwählerin registriert war – was übrigens ebenfalls kein Einzelfall war.
Weiterhin hat das Innenministerium nach den vier Kärntner Wahlbezirken nunmehr auch noch die Südoststeiermark wegen möglicher vorzeitiger Auszählung von Wahlkarten bei der Wirtschafts- undKorruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt. Auch der österreichische Oppositionsführer HC Strache (FPÖ) beklagt die unzähligen Manipulationsmöglichkeiten insbesondere bei den Briefwahlkarten auf seiner Seite beim sozialen Netzwerk Facebook lautstark.
Um das Wahlchaos abzurunden, ein letztes Schmankerl direkt aus der Zentrale der nicht enden wollenden Wahlunregelmäßigkeiten. So berichtet das österreichische Blatt Die Presse aktuell über die ungewöhnlich hohe Anzahl an ungültigen Stimmzetteln zur Briefwahl.
»Unabhängig davon wurde auch bekannt, dass die Stimmzettel von 46 800 der 806 768 eingelangten Wahlkarten nicht mitgezählt werden durften. Das häufigste Problem war die fehlende Unterschrift (eidesstattliche Erklärung) auf der Wahlkarte (37 065 Fälle). Hingegen durften 2998 Wahlkarten nicht berücksichtigt werden, weil sie zu früh abgeschickt worden waren.«
Dazu ein letzter Screenshot aus dem zuständigen Bundesinnenministerium, das diese exakt 46 800 »fehlerhaften« Briefwahlstimmzettel, die zwar eingegangen sind, tatsächlich aber nicht ausgewiesen hat.
Mehr als acht Prozent ungültige Briefwahlstimmen aufzuführen wäre wohl auch zu peinlich und würde den Österreichern irgendwie Dummheit bescheinigen.
Insbesondere auch deswegen, weil uns am Wahlabend hinreichend von Experten eingeredet wurde, dass zumeist die obere Bildungsschicht von der Möglichkeit der Briefwahl Gebrauch macht – und diese »wähle naturgemäß mehrheitlich den Ex-Grünen-Kandidaten Alexander Van der Bellen«. Genau deswegen könne dieser »das Ruder noch rumreißen und die Wahl schlussendlich für sich entscheiden«, hieß es noch am Wahlabend. Hat er ja auch!
Das Spiel »Alle gegen die FPÖ« dürfte also in die nächste Runde gehen und zunächst den österreichischen Verfassungsgerichtshof beschäftigen. Die Frist für die Anfechtung der Stichwahl endet am 8. Juni 2016 um 24 Uhr.
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