9/11 holt Obama ein – kommt der große Knall?
Peter Orzechowski
Es ist kein Zufall, dass gerade jetzt, wo US-Präsident Barack Obama in Saudi-Arabien eingetroffen ist, der Streit um ein Geheimdossier zu den Attentaten von 9/11 eskaliert. Die Saudis – so heißt es darin – sollen die Drahtzieher der Anschläge sein. Washington will Riad offensichtlich unter Druck setzen. Obama ist das nicht geheuer: Er hat Angst vor der Büchse der Pandora.
Immer mehr Abgeordnete im US-Kongress stimmen für eine Veröffentlichung eines Geheimdossiers, das die Unterstützung der Attentäter des 11. September 2001 durch Saudi-Arabien belegen soll. Demokraten wie auch Republikaner wollen außerdem ein Gesetz durchdrücken, welches die Immunität für Staaten aufhebt, wonach sie in den USA vor Anklagen geschützt waren. Bei Terroranschlägen auf US-Boden sollen Staaten nach diesem Gesetz keine Immunität mehr genießen. Das würde auch rückwirkend auf 9/11 zutreffen.
Der demokratische Führer im US-Senat, Chuck Schumer, sagte dazu, falls die Saudis im 9/11-Terror involviert waren, müsse es die Möglichkeit geben, sie zu verklagen. Dieses Gesetz werde die Möglichkeit schaffen, Klagen zuzulassen, um vor Gerichten zu klären, ob die saudische Regierung bei den Terroranschlägen involviert war. Falls ja, sollte sie einen Preis zahlen, so Schumer.
Die Veröffentlichung des Geheimpapiers würde den Klägern der Opfer des Terroranschlags die Munition liefern, mit der sie gegen Saudi-Arabien schießen könnten. Denn das Geheimpapier, um das es geht – die Amerikaner nennen es »28 pages« (28 Seiten) –, legt dar, welche Personen in den USA die Entführer der Anschläge vom 11. September 2001 unterstützt haben. Seit 13 Jahren wird es in einem Hochsicherheits-Tresorraum in Washington unter Verschluss gehalten und darf nur von einer Handvoll auserwählter Personen eingesehen werden – unter strenger Bewachung und ohne die Möglichkeit, Notizen zu machen.
Bob Graham, demokratischer Ex-Senator und damals Mitglied einer Kommission, war einer der wenigen, die es lesen durften. 13 Jahre lang schwieg er wie alle anderen, die Einsicht hatten. Doch in einem Interview mit dem TV-Sender CBS hat er nun sein Schweigen gebrochen.
Attentäter standen unter Beobachtung der CIA
Im Mittelpunkt der Äußerungen von Graham stehen zwei der vier Flugzeugentführer von 9/11: Khalid al-Mihdhar und Nawaf al-Hazmi. Sie waren der CIA bereits als Al-Qaida-Mitglieder bekannt und 1999 in Kuala Lumpur observiert worden, bevor sie offiziell im Januar 2000 über Los Angeles indie USA einreisen konnten.
Der Bericht beschreibt ein Netzwerk von Personen, die die Entführer direkt in den USA bei den Anschlägen unterstützt haben könnten. Das sagte Graham Steve Kroft, dem Moderator der legendären CBS-Sendung 60 Minutes.
Graham begründet seinen Verdacht damit, dass weder die beiden Entführer noch 17 weitere Helfer dazu in der Lage gewesen sein können, in den USA die Anschläge mit großer logistischer Kompetenz vorzubereiten. »Ich halte es nicht für plausibel, zu glauben, dass 19 Personen, von denen die meisten kein Englisch sprachen und nie zuvor in den USA waren und nicht mal über eine Schulausbildung verfügten, in den USA eine so komplizierte Aufgabe erledigen konnten, ohne innerhalb der USA Unterstützung gehabt zu haben.« Auf die Nachfrage des Moderators, ob er glaube, die Unterstützer kämen alle aus Saudi-Arabien, antwortete Graham: »Im Wesentlichen.« Als Kroft nachhakte, ob er damit zum Beispiel die saudische Regierung meine, wohlhabende Leute und Wohlfahrtsgesellschaften, bestätigte Graham: »All die gerade genannten.«
Dass die späteren Entführer al-Mihdhar und al-Hazmi nicht bei der Einreise verhaftet wurden, lag vermutlich daran, dass sie als V-Leute von der CIA angeworben werden sollten. Das heißt also, dass die CIA beide Attentäter unter Beobachtung hatte.
Ist Grahams Enthüllung also nur eine Ablenkung von den wahren Drahtziehern? Auffallend ist, dass Graham betonte, das Entscheidende sei, dass die beiden Entführer auch zu höherrangigen Saudis Kontakte aufgenommen hatten, darunter ein Diplomat, der im saudischen Konsulat von Los Angeles arbeitete.
Tim Roemer, ehemaliges Mitglied der 9/11-Kommission, der ebenfalls Einsicht in das Dossier bekommen hatte, bekräftigte in der CBS-Sendung die Aussagen von Graham. So soll der saudische Diplomat den beiden Entführern in San Diego zum Beispiel eine Wohnung und Geld besorgt haben. Sie hätten die Entführer mit weiteren Personen bekanntgemacht, die sie dann später mit wichtigen Dokumenten wie Regierungsausweisen versorgten und denen sie Zugang zu Flugstunden verschafften. Erstaunlich, wie auf einmal alle Angriffe gegen die Saudis gerichtet sind.
Amerikanisch-saudische Spannungen
Die Saudis befürchten nach einer Veröffentlichung des Dossiers eine enorme Klagewelle von Angehörigen, z.B. wegen Terrorfinanzierung oder indirekter Unterstützung der Attentäter.
Der saudische Außenminister Adel al-Dschubeir intervenierte auch bereits in Washington. Al-Dschubeir drohte der amerikanischen Regierung, Saudi-Arabien würde in diesem Fall sofort amerikanische Wertpapiere und Anleihen im Wert von mehr als 750 Milliarden Dollar verkaufen, um zu verhindern, dass diese im Fall einer Anklage des Königreichs von den amerikanischen Behörden eingefroren würden. Amerikanische Finanzexperten halten die Drohung der Saudis für einen Bluff, da ein kompletter Verkauf sehr schwer auszuführen sei und am Ende die Ökonomie des saudischen Königreichs zu stark lähmen könnte.
Dennoch: Die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien sind angespannt. Grund dafür ist zum einen der Machtgewinn des Iran auf internationaler Ebene – möglich geworden durch den Deal mit den USA über die Nutzung und Kontrolle der iranischen Nuklearanlagen. Zum anderen durch Washingtons Verständigung mit Russland im Syrienkonflikt. Auch dort fühlen sich die Saudis (wie auch Erdoğan) von den Amerikanern hintergangen. Schließlich ist Riad not amused, dass die USA nicht mehr so abhängig vom saudischen Öl sind, wie sie es noch waren, bevor mit dem Frackingbegonnen wurde.
Was 9/11 mit dem Öl-Treffen in Doha zu tun hat
Die Drohung mit der Veröffentlichung des 28-seitigen Geheimpapiers dürfte aber auch mit der großen Öl-Konferenz am Sonntagabend in Doha im Golfemirat Katar zusammenhängen. Bis kurz vor dem Treffen sah es nämlich nach einem Deal zwischen Saudi-Arabien und Russland aus. Eine Drosselung der Fördermengen schien in Aussicht. Experten erwarteten ein unverbindliches Abkommen – eines, das den Willen zu einer gemeinsamen Lösung dokumentiert. Russische Medien hatten sogar berichtet, dass Saudi-Arabien und Russland bereits vorab einen Pakt geschlossen hätten.
War also die Drohung mit der 9/11-Bombe ein Schuss vor den saudischen Bug? Heute jedenfalls ist von einem russisch-saudischen Deal keine Rede mehr. Im Gegenteil: Saudi-Arabien droht mit einer neuen Förderoffensive. Der saudische Vize-Kronprinz Mohammed bin Salman teilte mit, das Königreich könne die tägliche Fördermenge sofort um zehn Prozent auf 11,5 Millionen Barrel steigern. Innerhalb von sechs Monaten seien sogar 12,5 Millionen Fass möglich.
Obama gegen Freigabe der Papiere – um US-Verstrickung zu verbergen?
Amerikanische Medien beobachten eine hartnäckige Lobbyarbeit der Obama-Administration unter den Kongressabgeordneten – mit dem Ziel, die Freigabe der Papiere zu verhindern. Das Weiße Haus drohte laut CNN gestern dem US-Kongress, Obama werde als US-Präsident sein Veto einlegen gegen dieses Gesetz, wenn es denn im US-Kongress verabschiedet wird.
Dass Obama so hartnäckig gegen die Freigabe der Geheimpapiere ist, dürfte allerdings nur vordergründig mit dem Schutz der saudischen (Noch-) Freunde zusammenhängen. Vermutlichfürchtet der US-Präsident eher, dass die Freigabe sich zu einem Öffnen der Büchse der Pandora ausweiten könnte. Nämlich dass enthüllt werden könnte, wie die US-Regierung selbst in 9/11 verstrickt war.
Präsidentschaftsbewerber Donald Trump hatte schon vor einiger Zeit auf CNN über die Bush-Regierung gesagt: »Sie wussten, ein Angriff wird kommen ... George Tenet, der CIA-Chef, wusste im Voraus, es wird einen Angriff geben, und er sagte es dem Präsidenten, und er sagte es jedem, der zuhören wollte.« Das Erstaunliche ist, Trump selber wusste es auch, denn er kündigte es in seinem Buch an, das im Jahr 2000 – ein Jahr vor 9/11 – erschienen war. In dem Buch The America We Deserve (»Das Amerika, das wir verdienen«) schrieb Trump damals: »Ich bin wirklich überzeugt, wir sind in Gefahr eines Terrorangriffs, das den Bombenanschlag des World Trade Center (1993) aussehen lässt wie Kinder, die mit Knallfröschen spielen.«
Trump sagte damals voraus: »Eines Tages wird man uns erzählen, eine dunkle Gestalt ohne festen Wohnsitz mit Namen Osama bin Laden ist Volksfeind Nummer eins, und US-Kampfjets werden sein Lager in Afghanistan plattmachen«, schrieb Trump. »Er flüchtet zurück unter einen Stein und einige Nachrichtenzyklen weiter geht es um einen neuen Feind und neue Krisen.«
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