Der »Störenfried«: Putin durchkreuzt Obamas Iran-Manöver
F. William Engdahl
Erneut haben es Wladimir Putin und seine Leute geschafft, Washingtons geopolitische Strategie zu durchkreuzen; dieses Mal im Kontext der geheimen bilateralen Verhandlungen mit dem Iran außerhalb der G5+1-Gespräche. Russland hat es in erstaunlichem Tempo geschafft, ein potenziell verheerendes politisches Manöver der USA zu entschärfen, das den Iran von einem Verbündeten Russlands zu dessen erbittertem Gegner machen würde. Wenn es dazu käme, wäre es ein schwerer Schlag für Russlands Widerstand gegen Washingtons Diktat.
Am 13. April, wenige Tage nachdem das US-Außenministerium in der Frage der für Juni geplanten Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen den Iran zurückzurudern begann – im Juni soll eine endgültige Einigung über das iranische Atomprogramm erzielt werden –, unterzeichnete Russlands Präsident Putin einen Erlass, mit dem das Verbot des Verkaufs von S-300-Flugabwehrsystemen an den Iran aufgehoben wird. Das meldete der Kreml-Pressedienst. »Der Erlass hebt das Verbot des Transfers der S-300-Flugabwehrraketensysteme an die Islamische Republik Iran außerhalb der Grenzen der Russischen Föderation unter Nutzung von unter russischer Flagge fahrenden Schiffen und Flugzeugen auf«, hieß es ausführlicher in der Erklärung.
Für den Iran, der das moderne russische Flugabwehrraketensystem ursprünglich in einem Ende 2007 unterzeichneten 800-Millionen-Dollar-Vertrag gekauft hatte, bedeutet dies einen großen Erfolg. Laut Vertrag sollte Moskau fünf S-300-PMU-1-Systeme an Teheran liefern. Doch sofort nach Dmitri Medwedews Amtsantritt als russischer Präsident machte Washington Druck auf Moskau und im September 2010 unterschrieb Medwedew einen Erlass, mit dem der Vertrag aufgehoben wurde. Angeblich geschah dies im Einklang mit Resolution 1929 des UN-Sicherheitsrats, die die Lieferung konventioneller Waffen, einschließlich Raketen und Raketensysteme, Angriffshubschrauber, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe, an den Iran untersagt.
Tatsächlich gab Medwedew Druck aus den USA und Israel nach, die verhindern wollen, dass der Iran moderne Luftverteidigungssysteme erhält, die als Antwort auf israelische oder amerikanische Luftschläge oder Raketenangriffe (sic!) eingesetzt werden könnten. Kurz: Dem Iran ist es nicht erlaubt, sich zu verteidigen, der NATO mit ihrem Raketenabwehrring um Russland aber sehr wohl? Suchen Sie nicht nach Vernunft oder Klarheit, die gibt es nicht. Macht schafft eben Recht.
Das russische Flugabwehrsystem S-300 gilt als eines der stärksten Raketenabwehrsysteme dieser Tage, nur übertroffen von einem weiteren russischen System. Sein Radar kann gleichzeitig bis zu 100 Ziele verfolgen. Es ist dem amerikanischen Patriot-Raketensystem überlegen. Das S-300-System wurde für die russischen Streitkräfte zur Verteidigung gegen Kampfflugzeuge undMarschflugkörper entwickelt.
Dass unter den gegenwärtigen Bedingungen eines De-facto-Kriegszustands zwischen Russland und Washington Erfordernisse der nationalen Sicherheit wichtiger genommen werden als genaue Auslegungen von UN-Resolutionen, ist bemerkenswert. Russlands Außenminister Sergei Lawrow erklärte, das Verbot der S-300 gelte nicht mehr, da sich die Gespräche zwischen Teheran und den internationalen Vermittlern über das iranische Atomprogramm in eine positive Richtung bewegten.
Bei seinem Moskaubesuch in dieser Woche wird der iranische Verteidigungsminister Hosein Dehqan die Bedingungen für die Auslieferung der russischen S-300-Flugabwehrraketensysteme an Teheran aushandeln.
Washington erneut auf dem falschen Fuß erwischt
Die Reaktion in Washington nimmt lächerliche Formen an. Die für ihre Inkompetenz berüchtigte Pressesprecherin des State Department, Marie Harf, erklärte bei einem Pressebriefing einerseits, das Außenministerium betrachte Putins Entscheidung nicht als Verstoß gegen die Resolution desUN-Sicherheitsrats.
Andererseits, so argumentierte sie in einem Paradebeispiel diplomatischer Konfusion, wenn nicht gar einem Anfall von Demenz: »Wir halten es angesichts der destabilisierenden Aktionen des Iran in der Region, in Ländern wie dem Jemen, Syrien oder dem Libanon, für nicht an der Zeit, ihnen diese Art von Systemen zu verkaufen.«
Ist es nicht an der Zeit, dem Iran Verteidigungssysteme zu verkaufen, die seinen Luftraum vor Angriffen beispielsweise eines besessenen Netanjahu schützen, der sich den amerikanisch-iranischen Bemühungen um Entspannung widersetzt? US-Außenminister John Kerry sprach am Telefon mit Lawrow, um ihm das Missbehagen der Vereinigten Staaten über das S-300-Abkommen mitzuteilen, wie dasState Department meldete.
Gibt Washington damit törichterweise zu erkennen, dass die wahre Intention gegenüber dem Iran nicht friedlicher, sondern taktischer Natur ist? Wenn ja, wäre es ein wesentlich besseres Täuschungsmanöver, Putins Entscheidung zu begrüßen und später zu versuchen, sie mit verdeckten Mitteln zu sabotieren. Diplomatisches oder strategisches Raffinement kann man Washington dieser Tage nicht gerade vorwerfen.
Ein Grund für Washington, ein Atomabkommen mit dem Iran zu besiegeln, bestünde darin, zusätzlichen wirtschaftlichen Druck auf russische Energieexporte auszuüben. Die Wiederaufnahme iranischer Erdöllieferungen nach einer Aufhebung der SWIFT-Sanktionen von 2012 und anderer amerikanischer Maßnahmen würde den Finanzdruck auf Russland erhöhen.
Darüber hinaus möchte Washington die großen iranischen Erdgasreserven nicht über die Gaspipeline Iran-Irak-Syrien, über die Russland erheblichen Einfluss hätte, in die EU leiten.Washington würde eine von den USA kontrollierte Gaspipeline über das NATO-Mitgliedsland Türkei vorziehen und das iranische Gas einsetzen, um Russlands Energie-Strategie gegenüber der EU weiter zu schwächen.
Russisch-iranisches 20-Milliarden-Dollar-Tauschgeschäft
Russlands geschickte Angebote an den Iran beschränken sich nicht auf die Entscheidung über die S-300. Am selben Tag, dem 13. April, erklärte Russlands stellvertretender Außenminister Sergei Riabkow, Russland habe gemäß einem Tauschabkommen mit der Lieferung von Getreide, Ausrüstung und Baumaterial begonnen, als Gegenleistung erhalte Russland Rohöl; der Umfang des Geschäfts wird auf 20 Milliarden Dollar geschätzt.
Riabkow erklärte weiter: »Als Gegenleistung für die Lieferung iranischen Rohöls liefern wir bestimmte Produkte. Das ist unter den gegenwärtig geltenden Sanktionen nicht verboten oder eingeschränkt.« Der Iran ist der drittgrößte Abnehmer russischen Weizens, das Abkommen ist seit Anfang 2014 zwischen Moskau und Teheran im Gespräch.
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Bildnachweis: »Russian Tor-M1 and S-300V SAM in 2008« by Vitaliy Ragulin - День войск ПВО. Licensed under CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
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