Neuigkeiten vom NSU-Phantom und Interview mit »Fatalist«
Falk Schmidli
In unserem letzten Artikel über den NSU-Prozess berichtete Kopp Online über den Brief der Gruppe um den Blogger und Leaker von BKA-Dokumenten »Fatalist« an den Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Inhalt dieses Mailings waren gravierende Widersprüche in den NSU-Akten, die den Verdacht nahelegen, dass es sich hierbei um gefälschte Beweise handelt. Das Mailing ist nun zwei Monate her. Was ist seitdem passiert?
»Fatalist«-Blog wurde geschlossen
Zunächst wurde der Blog »Wer-nicht-fragt-bleibt-dumm« direkt nach dem Mailing geschlossen, womit die Gruppe um Fatalist (auch »Arbeitskreis NSU« genannt) natürlich gerechnet hat und innerhalb kürzester Zeit mit einem Sicherungsblog wieder online war. Diesen neuen Blog finden siehier.
Bosbach und Montag vertrösten
Auf unsere Nachfrage beim Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums Wolfgang Bosbach hin, was er in der Angelegenheit zu tun gedenkt, bekamen wir folgende Antwort: »Das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestages (PKGr) hat zum Fall ›Corelli‹ und weiterer aufgefundener Datenträger mit Bezug zu ›NSU‹/›NSDAP‹ und dazu neu aufgetauchter Fragestellungen einen parlamentarischen Sonderermittler eingesetzt.« Fragen zu neuen Erkenntnissen über die Authentizität des Materials oder zu sonstigen konkreten neuen Erkenntnissen wurden von Wolfgang Bosbach nicht beantwortet, obwohl mittlerweile diese einfache Überprüfung hätte stattfinden können und müssen.
Eine solche Überprüfung darf normalerweise nicht mehr als einen oder zwei Tage dauern – wahrscheinlich wurde sie auch längst durchgeführt, nämlich zu dem Zeitpunkt, als die ersten Akten geleakt wurden. Eine Nicht-Beantwortung dieser einfachen Frage erscheint uns somit bemerkenswert.
Wir befragten auch den Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag (Die Grünen), der als Sonderermittler vom Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestages eingesetzt wurde. Dieser beantwortete ebenfalls nicht die an ihn gestellte Frage, ob das Material authentisch ist, sondern berief sich auf seine strikte Pflicht zur Verschwiegenheit. Er beantwortete nur unsere Frage, ob er Kenntnisse über die Schließsung des Blogs »Wer-nicht-fragt-bleibt-dumm« habe. Jerzy Montag behauptet, keinerlei Kenntnisse darüber zu haben.
Der Stern schreibt über den Arbeitskreis NSU
Am 21.11.14 schaffte es der Arbeitskreis NSU dann endlich in den Stern. Der Mainstream will sich offensichtlich mit der »Staatsaffäre« kritisch beschäftigen – so scheint es jedenfalls, wenn man den Artikel von Hans-Ulrich Jörges liest. Andererseits macht der Artikel den Eindruck, als wolle man die NSU-Lüge nun noch einmal richtig aufblasen. Dort wird bereits von einem größeren Netzwerk fabuliert, sogar der Innenminister Thomas de Maizière wird zitiert, der von weiteren Tätern ausgeht.
Auch die Sozialdemokratin Eva Högl wird zitiert, die von einem breiten Netzwerk rechtsextremer Strukturen verteilt über ganz Deutschland fantasiert. Der Innenausschuss redet laut dem Stern-Artikel bereits von »gezielter Sabotage« und stellt fest, was Kopp Online schon monatelang behauptet: Der NSU-Fall strotzt nur so vor Widersprüchen. Jörges bringt schließlich auch eine Passage über den Whistleblower Fatalist, den er als »rätselhaft« bezeichnet. Die geleaktenDokumente werden in diesem Artikel jedoch als glaubwürdig dargestellt.
Interview mit Fatalist
Kopp Online hat Fatalist erneut kontaktiert. Uns erscheint er nicht rätselhaft, denn im Gegensatz zu den anderen Interviewpartnern beantwortete er die an ihn gestellten Fragen allesamt präzise:
Kopp Online: Der Stern bezeichnet Sie am 21.11.2014 als »rätselhaften Blogger aus Phnom Penh«. Ihre Zuarbeit, die gemäß diesem Artikel Clemens Binninger (Chef des parlamentarischen Kontrollgremiums für Geheimdienste) inspiriert hat und für die Parlamentarier unbekannt war, wird eher positiv gesehen. Was sagen Sie dazu, dass Sie es nun endlich in den Mainstream geschafft haben, sogar in ziemlich positiver Weise? Was vermuten Sie dahinter?
Fatalist: Wir haben Ende Juni 2014 angefangen, Akten zu leaken, zuerst über die Ermittlungen zu den neun Döner-Morden (Ceska-Morden). Anhand der Besucher-IPs haben wir gesehen, dass die Leitmedien von Anfang an täglich mitlasen, die Sicherheitsbehörden sowieso. Das monatelange Totschweigen samt Zensur aller Links, die von den Bloglesern als Kommentare im Mainstream gepostet wurden, hat uns klar gemacht, wie sehr die Medien gleichgeschaltet sind und sich nicht der Aufklärung verpflichtet fühlen; das Gegenteil ist vielmehr der Fall.
So gesehen war dann die diffamierende Darstellung im Spiegel Ende September keine Überraschung. Sie folgte direkt nach der Einschaltung des Bundestags-Innenausschusses, dem Aktenteile übersendet wurden, die eine tiefe Verstrickung der Sicherheitsbehörden in das NSU-Phantom nahelegen.
Die Süddeutsche Zeitung hat wie die Bundesanwaltschaft regelrecht panisch reagiert, als der Bundestags-Innenausschuss ankündigte, den Verdachtsmomenten nachzugehen. Beim Ceska-Rätsel gibt es allerdings kein Entrinnen: entweder Dokumentenfälschungen in großem Umfang, oder eine Staatsaffäre.
Kopp Online: Finden Sie es auch seltsam, dass nach dem Spiegel-Artikel, der kolportierte, dass Sie »rechts« seien, nun dieser Artikel ohne Nazikeule erscheint?
Fatalist: Was NATO- und Regierungs-Postillen wie Spiegel oder die Springerpresse als »rechts« ansehen, das interessiert mich wenig. Es gilt das alte Gandhi-Wort: Erst ignorieren sie dich, dann bekämpfen sie dich,... Uns ging es immer um den Rechtsstaat und eine Regierung, die sich an dieGesetze hält, um unvoreingenommene Ermittlungen und um eine unabhängige Justiz. Wir verlangen nichts weiter als die Einhaltung von Recht und Gesetz.
Die Passagen zu meiner Arbeit von Herrn Jörges jetzt im Stern sind in Ordnung. Ich als Person bin aber gar nicht so wichtig, wir arbeiten als Team, als Arbeitskreis NSU. Man spekuliert fleißig zurzeit, wie viele Personen der Arbeitskreis umfasst. Nun, wir sind mehr als zehn und weniger als 100, das minimiert auch das Risiko für den Einzelnen.
Kopp Online: Was gibt es Neues vom Innenausschuss oder dem eingesetzten Sonderermittler Jerzy Montag? Die Antworten auf die von Kopp Online gestellten Fragen sind absolut schwammig oder unbrauchbar. Haben Sie oder andere Mitglieder des Arbeitskreises NSU mittlerweile wenigstens die Bestätigung erhalten, dass die Unterlagen echt sind?
Fatalist: Auch das gehört zur medialen Strategie: zu erwägen, dass über 700 Ordner mit zig Hunderttausend Seiten gefälscht sein könnten. Aber wer sollte sich dieser Mühe unterziehen, und wozu? Der Stern hat das korrekt geschrieben: In Berlin munkele man, wir besäßen alle 620 Ordner des BKA. Also das ist fast richtig, es sind allerdings auch andere Ordner dabei. Vom LKA Stuttgart zum Beispiel, und GBA-Ordner...
Zu Jerzy Montag: Er hat uns nett geantwortet, aber der Mann braucht Zeit, um sich einzuarbeiten. Sein Bericht soll erst im Mai 2015 fertig sein. Man muss dem Mann auch die Zeit zugestehen.
Der Innenausschuss hat nicht reagiert, als die NSU-Ausschussvorsitzende Marx (SPD) in Thüringen Ende März 2014 die Rußlungenlüge von BKA-Präsident Ziercke und Generalbundesanwalt Range aufdeckte, die sich die beiden Herren am 21.11.2011 in eben diesem Gremium Innenausschuss erlaubten. Man meinte wohl, wenn es die Leitmedien unterschlagen, dann bräuchte man es ebenfalls nicht zur Kenntnis zu nehmen. Das Gremium wurde damals informiert, im Link dokumentiert, und es hat abwehrend reagiert.
Dieses Gremium hat bislang nicht gerade überzeugt, und durch Aufklärungswillen hat man sich gerade nicht hervorgetan. Ob sich diese Linie durchhalten lässt, das wird die Zukunft zeigen. DerArbeitskreis NSU wird zu gegebener Zeit nachlegen.
Kopp Online: Haben Sie mittlerweile irgendeine fundierte Resonanz auf die eingereichten Widersprüche erhalten?
Fatalist: Nein, haben wir nicht. Das ist auch nicht zu erwarten, da die Manipulationen an den Tatorten offensichtlich sind und die gesamten Bild-Asservaten-Akten dazu veröffentlicht wurden – sowohl das Wohnmobil betreffend rund 1300 zusammenhängende Seiten als auch die kompletten Polizei-Bildmappen aus Zwickau mit mehr als 1000 Fotos und Erläuterungen dazu.
Weiterhin Dutzende kompletter BKA-Akten, bei denen man als Bürger sogar ohne Vorkenntnisse die Manipulationen (»Fehler«) nachvollziehen kann. Was wir bloggen, das können wir belegen, und jeder Leser kann das in den Akten selber nachvollziehen.
Es dürfte kaum möglich sein, diese Anzahl von vielen Hundert Fehler der Ermittler zu erklären – was die NSU-Ausschüsse aber überwiegend taten: Die Ausrede von »Pleiten, Pech und Pannen« wird nicht durchzuhalten sein als Erklärung für ein Staatsversagen. Man wird diesen Begriff in »Staatsaffäre« umdefinieren müssen, so wie der Stern das getan hat.
Kopp Online: Wie lautet Ihre Prognose für den NSU-Fall?
Fatalist: Die ganze Wahrheit wird nicht herauskommen. Man wird sich auf eine Linie zurückziehen, die man längst entwickelt hat. Man lese nur »Heimatschutz« von Aust/Laabs, dort wird diese Verteidigungslinie bereits entwickelt: Wir nennen sie »NSU-Staats-VT 2.0«. Kurz zur Erklärung: drei isolierte Einzeltäter, die an allen 26 NSU-Tatorten nicht nachgewiesen werden können. Diese Verschwörungstheorie des Staates ist die der Medien und der Anklage: Ohne Beweise, denn die gibt es nicht, bleibt es aber eine Verschwörungstheorie, die aber nicht durchzuhalten ist.
Diese gescheiterte Kleinst-Terrorzellen-Trio-These, das ist die Version NSU 1.0. Sie wird zurzeit aufgegeben. Ersetzt werden soll sie durch die Version NSU 2.0: Ganz viele Mörder in ganz vielen Städten, Helfer überall sowieso. Daran arbeitet auch die Nebenklage fleißig mit, denn eine Verurteilung Zschäpes als Mittäterin bei den Morden ist sehr unwahrscheinlich. Es gibt keine Nachweise für die beiden Uwes an irgendeinem Tatort, also wird es auch schwierig, Zschäpemittäterschaftlich zu verurteilen. Es läuft auf Brandstiftung ohne besondere Schwere der Schuld hinaus, also ohne Lebensgefährdung von Menschen. Zschäpe wird nach dem Urteil als freie Person in ein Zeugenschutzprogramm gehen, so meine Prognose.
Der Ausweg ist die Variante NSU 2.0: andere Täter, ein größseres Netzwerk, und das mit Wissen des Verfassungsschutzes. Mord unter den Augen nicht der Behörden, sondern mit Wissen eines kleinen verschworenen Kreises von Personen innerhalb der Sicherheitsbehörden. Das ist der Ausweg aus dem Dilemma. Hinter den Kulissen dürften längst Freiwillige gesucht werden. Ein Anweiser an höchster Position inklusive.
Es muss auffallen, dass der Verfassungsschutz auch im Abschlussbericht des NSU-Ausschusses Thüringen »schuldig« genannt wird, in den Medien und bei Aust/Laabs passiert dasselbe, und die skandalösen Ermittlungsmängel des BKA bleiben weitgehend außen vor. Man darf die Installation eines Sündenbocks namens Verfassungsschutz vermuten, sie ist tatsächlich längst in vollem Gange.
Kopp Online: Und was soll der Grund für die NSU-2.0-Geschichte sein?
Fatalist: Der eigentliche Zweck dieser Maßnahmen ist der Schutz der Regierung, denn es dürfte einleuchtend sein, dass ein BKA nicht ohne Weisung zielgerichtete Ermittlungen zum Beweis einer Terrorzelle geführt hat, deren Ergebnis die Bundesanwaltschaft anklagte. Man hat zum Beispiel komplette Wohnsitze nachgewiesen, die es gar nicht gab und für die es keinen einzigen Nachbarn als Zeugen für die Anwesenheit der zwei Uwes und der einen Beate gibt. Die Akten dazu haben wir komplett veröffentlicht.
Man befragte 30 Nachbarn und fand nicht einen einzigen, der dort einen aus dem Trio sah. Wenn all das vor Gericht gar keine Rolle spielte und auch den Medien dazu kein einziger kritischer Artikel einfiel, dann sollte jeder Leser erkennen, was für ein Spiel dort abläuft. Wir nennen das den »BRD-OLG-Stadel zu München«.
Das wird vermutlich am Ende herauskommen: Mehrere »entglittene V-Leute« mordeten mit Wissen einer kleinen kriminellen Struktur innerhalb des Geheimdienstes. Welches Landesamt für Verfassungsschutz diese Rolle wird annehmen müssen, das bleibt abzuwarten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird es jedenfalls eher nicht sein.
Kopp Online: Danke für Ihre Einschätzung und das Interview. Wir melden uns wieder.
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