Polen zwischen Diktatur und Bürgerkrieg – NATO-Zentrum gestürmt
Peter Orzechowski
Was ist da los? Polen, der vermutlich treueste Vasall der USA, lässt das Spionagezentrum der NATO stürmen. Ausgerechnet die NATO ist auf einmal Ziel der regierenden Rechtspartei. Lehnen sich die Polen auf oder wollen die Nationalkonservativen nur die totale Kontrolle über ihr Land?
Die international unter heftiger Kritik stehende neue polnische Regierung hat am Freitag ein Spionageabwehrzentrum der NATO in Warschau stürmen lassen, um dort die Kontrolle zu übernehmen. Beamte des Verteidigungsministeriums und der Militärpolizei seien kurz nach Mitternacht in das polnisch-slowakische Zentrum eingedrungen, berichtete dessen Chef Krzysztof Dusza im polnischen Fernsehen. »Ich habe ihnen gesagt, dass ihre Anwesenheit hier illegal ist.«
Nach der Razzia habe er die Polizei aufgefordert, die Türen zu versiegeln. Die Slowakei und andere ausländische Partner seien über die nächtliche Aktion informiert worden. Der Sender TVP Info berichtete indes unter Berufung auf ungenannte Quellen, es gebe einen Verdacht auf Spionage für die USA. Das NATO-Spionageabwehrzentrum wird unter Führung von Polen und der Slowakei errichtet, aber auch Deutschland ist an dem Projekt beteiligt.
Das polnische Verteidigungsministerium veröffentlichte eine knappe Mitteilung, wonach ein neuer Übergangschef für das Zentrum eingesetzt worden sei. Dabei handele es sich um Oberst Robert Bala. Außenminister Witold Waszczykowski sagte im Radio, dass die in dem Zentrum beschäftigten polnischen Beamten ihre Berechtigung verloren hätten, Zugang zu vertraulichen Dokumenten zu bekommen. »Sie sollen durch andere ersetzt werden, die solche Rechte haben.«
Verantwortlich für die Aktion ist Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, ein radikaler Hardliner. Er hatte das Amt bereits in den 90er Jahren inne und tauschte in dieser Zeit in großem Umfang Personal des Militärgeheimdienstes aus. Ex-Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak entschuldigte sich am Freitag bei der Slowakei für den Vorfall.
Er sprach von einem »absoluten Skandal« und einem »beispiellosen Vorgang in einem NATO-Mitgliedstaat«. Ex-Präsident Bronislaw Komorowski von der oppositionellen Bürgerplattform (PO) äußerte im Sender TOK FM„Verwunderung und Beunruhigung“ über die nächtliche Aktion.
Walesa warnt vor Bürgerkrieg in Polen
Die neue konservative Regierung, die seit November im Amt ist, hatte bereits mit Versuchen für Empörung gesorgt, die Verfassungsrichter des Landes auszutauschen. Der frühere polnischePräsident Lech Walesa hat das Vorgehen der neuen konservativen Regierung scharf kritisiert und vor einem »Bürgerkrieg« im Land gewarnt.
Gewiss »müssen Dinge geändert werden. Sie (die konservative Regierungspartei PiS) haben in vielen Punkten Recht. Aber nicht auf diese Weise«, sagte Walesa in einem Fernsehinterview mit Blick auf den Streit um die Neubesetzung und die Reform des Verfassungsgericht. Reformen müssten »auf offene und demokratische Weise« erfolgen und nicht »auf brutale Art«.
Wenn sich die Regierung nicht ändere, werde dies »zu einem Bürgerkrieg führen«, warnte der einstige Anführer der Gewerkschaft Solidarnosc. Er versprach, sich bei dem PiS-VorsitzendenJaroslaw Kaczynski für eine Kursänderung einzusetzen.
»Ich werde versuchen, diese Leute zu überzeugen. Es sind meine alten Kollegen, ich werde mich nicht gegen sie stellen«, sagte Walesa. Er hatte als Präsident 1990 Kaczynski und dessen 2010 beim Absturz der Präsidentenmaschine verunglückten Zwillingsbruder Lech zu seinen Beratern berufen, sich später aber mit ihnen zerstritten.
Worum ging es also in dieser Nacht- und Nebel-Aktion gegen das NATO-Spionagezentrum? Sicher nicht um den Auftakt, aus der NATO auszusteigen. Aber sicher darum, bei den Nationalisten Eindruck zu schinden nach dem Motto: »Wer auf unserem Boden das Sagen hat, bestimmen wir.«
Auch um den polnischen Bürgern zu zeigen: Die neue nationalistische PiS-Regierung bringt das Land in allen Bereichen völlig unter seine Kontrolle. Nach der Machtübernahme im Parlament und den Versuchen des Austauschs der Verfassungsrichter kommt nun auch der Geheimdienst dran.
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