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Mittwoch, 9. Dezember 2015

Deutsche Panzer gegen Putin: Interaktive TV-Sendung facht die Kriegslust an

Deutsche Panzer gegen Putin: Interaktive TV-Sendung facht die Kriegslust an

Markus Mähler

Am Montagabend freute sich die Bundesregierung über Millionen Versuchskaninchen: Die Zuschauer spielten auf Pro Sieben »Du bist Kanzler«. Das Mitmach-Experiment, war auch ein geheimer Meinungscheck: Wie bereit sind die jungen Deutschen für den NATO-Krieg gegen Russland? Hinter den Machern der Sendung steht der Bertelsmann-Konzern, ein massiver politischer Lobbyist.


Die Wahrheit versteckt man am besten hinter einer sehr viel einfacheren Wahrheit. Am Montag wurde das abgewrackte Wissensmagazin Galileo auf Pro Sieben für einen Meinungstest umgebaut, den es so noch nicht gab.

Und das Experiment lieferte brisante Ergebnisse: Gerade einmal 55 Prozent der jungen Deutschen lehnen noch Panzer gegen Putin ab. Die Mehrheit will außerdem den Soli abschaffen, dafür die Pkw-Maut erhöhen und bei weiteren Euro-Krisen kein Geld mehr in Südeuropa verteilen.

Am Montag spielten 1,53 Millionen Menschen zwischen 14 und 49 die interaktive Mitmach-Sendung»Du bist Kanzler«.

Die Zuschauer machten sich dabei selbst zu Versuchskaninchen – in einem Meinungstest, in den sichtbar viel Geld geflossen ist. Ein Double für Angela Merkel, zahlreiche Minister, Original-Drehplätze und acht Krisen-Szenarien.

Wie sich die Kanzlerin entscheidet, bestimmte scheinbar das Publikum. Direkte Demokratie über eine App am Handy: Dort drückten so viele aufs Knöpfchen, bis das System in die Knie ging.

Putins Panzer: Ist das noch Meinungsforschung oder schon Polit-Erziehung?

Nach der Abstimmung sahen die Zuschauer live, wo ihre Entscheidung hinführt. Immer ins Desaster. Am Ende war die Wahl also egal und bloß eine Illusion. Alles steuerte auf das unausweichliche Finale zu: Die Russen marschieren mit Hunderten Panzern in das NATO-Land Estland ein.

Was tun, immerhin ist dort jeder vierte Bürger Russe? Das Merkel-Double stand beim hollywoodreifen Showdown im Kommandozentrum der Bundeswehr und musste wählen: Krieg oder Frieden mit noch mehr Wirtschafts-Sanktionen?

Der Kanzleramtsminister warnte: »Der Russe drängt von Osten her, wir müssen ihm Grenzen aufzeigen. Machen wir es militärisch.« Durch das Telefon bettelten die Esten: »Wir brauchen Hilfe, schnell!«

In nur 20 Sekunden stimmten die Zuschauer ab und das Ergebnis fiel denkbar knapp aus. 45 Prozent würden tatsächlich Panzer gegen Putin schicken, obwohl sich Deutschland durch alle Entscheidungen in der Sendung vorher politisch isoliert hatte. Nur noch eine knappe Mehrheit von 55 Prozent wollte weiter auf wirtschaftliche Sanktionen setzen.

Wie Lobbyisten eine Unterhaltungssendung kapern können

Muss man das jetzt alles ernst nehmen? Pro Sieben hat seinen Ruf als Unterhaltungssender für ewige Kinder weg. Galileo macht seit 17 Jahren eher durch Schleichwerbeskandale als durch einpolitisches Profil Schlagzeilen. Man sollte es trotzdem ernst nehmen:

Die Sendung wurde gehijackt und als Trojanisches Pferd benutzt. Hinter dem Meinungs-Experiment »Du bist Kanzler«steht nicht Pro Sieben oder Galileo, sondern das Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Das ist das größte Politik-Institut Deutschlands und mit seiner angeschlossenen Denkfabrik CAP (Centrum für angewandte Politikforschung) massiv im Berliner Parteienzirkus verankert. Das einflussreiche CAP gilt als Spezialist für Sicherheitspolitik – doch wer zieht hier eigentlich die Fäden im Hintergrund?

Die Denkfabrik gehört zu Bertelsmann, Europas größtem Medienkonzern. Im Deckmantel seiner gemeinnützigen Stiftung übt der Riese »erheblichen Einfluss auf die Politik aus«. Davor warnte die frühere Vizepräsidentin des Bundestages, die Grünen-Politikerin Antje Vollmer.

Sie ist nicht die einzige kritische Stimme. Selbst Hans Fleisch vom Bundesverband Deutscher Stiftungen urteilt zwiespältig über die Stiftung der Bertelsmänner: Sie ist als »Thinktank in der Informationselite und vor allem in der Politik« bekannt.

Die Bertelsmann-Stiftung: »Wir sind keine heimliche Regierung«

Gerade über ihr Zugpferd, die Münchner Denkfabrik CAP, bringt die Stiftung seit Jahren wie am Fließband Studien über Sozial-, Bildungs-, Wirtschafts- und Außenpolitik unter die Leute. Die Wirtschaftswoche beschrieb das Lobby-Netzwerk bereits 2012: »In Politik und Wirtschaft gut vernetzt, versteht es die Einrichtung so gut wie kaum einer ihrer Wettbewerber, sich in gesellschaftliche Entscheidungen einzumischen.«

Der Einfluss der Stiftung erregt inzwischen viel Aufsehen. Zu viel. Ex-Vorstandschef Gunter Thielen musste imHandelsblatt sogar beschwichtigen: »Wir sind keine heimliche Regierung.«

Jetzt entsteht also im lobby-lastigen Dunstkreis der Bertelsmann-Stiftung und im Fahrwasser der Polit-Denkfabrik CAP eine Meinungs-Spielsendung mit dem Titel: »Du bist Kanzler«. Die Zielgruppe sind junge, politikmüde Deutsche bei Pro Sieben, zum Vehikel wird die Wissenssendung Galileo und im Finale fahren Panzer gegen Putin.

So ein ungewöhnliches Experiment passiert nicht ohne Grund. Parteien und Lobbyisten erreichen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern mittlerweile nur noch einen Teil der Deutschen. Bei ARD undZDF sitzt die Generation 60 plus mittlerweile ganz allein.

Außenpolitik für die Pro-Sieben-Zielgruppe: Wir drücken auf zwei Knöpfchen

Das Kanzler-Fernsehspiel auf Pro Sieben erreicht dagegen sonst unerreichbare Menschen. Denen serviert man bei dieser Gelegenheit ganz einfache politische Botschaften – platziert in einemTrojanischen Pferd.

Reichen 30 Minuten eigentlich, um Deutschlands schwierige politische Lage zu klären? Ja, wenn man das Ganze zum simplen Entweder-oder macht. Drücken wir auf das eine oder auf das andere Knöpfchen …

»Du bist Kanzler« erfüllt damit einen doppelten Zweck. Es war nicht bloß Polit-Erziehung für Politikverdrossene. Die Sendung lieferte ihren Machern auch ein Stimmungsbild:

Wie kriegslustig sind die jungen Deutschen? Seit gestern Abend vermutlich ein bisschen mehr. Nachspielen lässt sich das Ganze übrigens noch im Internet.






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