Krieg der Religionen – jetzt auch in Europa?
Peter Orzechowski
In Köln wird der Dom mit Silvesterraketen beschossen, in Frankreich werden Kirchen abgefackelt oder in Moscheen umgewandelt – bricht der Krieg der Religionen jetzt auch in Europa aus?
Die schlimmen Attacken auf Frauen in der Silvesternacht in Köln und anderswo haben ganz die Meldung verdrängt, dass der Auftakt zur Schreckensnacht schon um 18.30 Uhr begann – mit einem Angriff auf den Kölner Dom.
»Ich war im Inneren des Domes, habe an der Jahresschlussmesse teilgenommen. Der Dom war sehr gut besucht. Ein paar Tausend Leute saßen in den Bänken. Ich wunderte mich sehr, dass es um 18.30 Uhr überhaupt schon so heftiges Feuerwerk gab, einen bisher an Silvester nicht erlebten massiven Raketen- und Böllerbeschuss.
Immer wieder war das Nordfenster des Domes rot erleuchtet, weil Rakete auf Rakete dagegenflog. Und durch Böller war es sehr laut. Ich hatte zeitweise Angst, dass Panik ausbricht.« Dies berichtet die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Ihrer Einschätzung nach war der Feuerwerks- und Böllerbeschuss abgesprochen. »Darauf deutet ja schon hin, dass die Phase zwischen 18.30 und 19.45 Uhr eigentlich keine Zeit ist, in der man schon in großem Umfang Silvesterraketen abschießt. Es liegt also sehr nahe, dass es eine bewusste Störung des Gottesdienstes war. Es fand während des gesamten Gottesdienstes statt, nicht nur punktuell.«
Für die Augenzeugin ist der Kölner Dom ein Symbol: »Er ist ein religiöser Ort, aber er steht ja als Wahrzeichen auch für die ganze Stadt. Er ist nicht nur ein reiner Kirchenbau. Es ist also sowohl ein Angriff auf das städtische als auch auf das religiöse Symbol. Zudem macht der Beschuss des Domes auch deutlich, dass die Polizei die Lage schon um 19 Uhr nicht mehr im Griff hatte.«
In Frankreich brennen die Kirchen …
Im Vergleich zu Frankreich ist der Anschlag auf den Kölner Dom nur eine harmlose Warnung. Denn in unserem westlichen Nachbarland brennen seit Jahren die Kirchen.
Jüngster Fall ist die katholische Kirche Saint Louis de Fontainebleau im gleichnamigen Departement, 60 Kilometer südlich von Paris. Auf sie wurde am 10. Januar ein Brandanschlag verübt. Das Feuer zerstörte einen Altar aus dem 16. Jahrhundert vollständig. Eine ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert stammende Statue der Muttergottes mit Kind, die zu den schönsten ihrer Art im Seine et Marne Departement gehört, ist spurlos verschwunden. »Es gab drei verschiedene Brandherde, etliche Statuen wurden umgeworfen, deshalb glauben wir an einen Akt der Entweihung«, meint der Pfarrer Jose Antonini.
Diese Brandanschläge reihen sich ein in eine lange Liste von Anschlägen auf Kirchen, von denen die Medien kaum Notiz nehmen. Hier ein paar Beispiele:
- 6. November 2005: Molotowcocktail gegen die Kirche von Liévin im Norden Frankreichs. Am selben Tag werden die polnische Kapelle bei Romans-sur-Isère und das Pfarrhaus von Île de Thau zerstört.
- 12. November 2006: Brandanschlag in Lyon auf die Kirche Notre Dame de la Roche
- 13. Dezember 2006: Molotowcocktails gegen die Mauern der Sainte-Bernadette-Kirche in Dijon
- 13. Januar 2007: Brandanschlag auf eine Kirche in Nizza; das Innere der Kirche wurde durch den Ruß schwer beschädigt.
- 13. Januar 2011: Das Eingangsgitter der evangelischen Kirche von Montfermeil wird mit einem gepanzerten Fahrzeug niedergewalzt, in den Kirchenräumen brennen Feuer.
… oder sie werden zu Moscheen
Etwa 2500 Moscheen gibt es in Frankreich bislang, dazu kommen 300, die sich gerade im Bau befinden, und trotzdem reicht es nicht. Und weil jenseits des Rheins viele Kirchen leer stehen, sollen sie in Moscheen verwandelt werden.
Aber die Öffentlichkeit wehrt sich. Die konservative Zeitschrift Valeurs Actuellesveröffentlichte einen Aufruf: »Touche pas à mon église!« – »Rühr meine Kirche nicht an!« Der Schriftsteller Denis Tillinac – ein französischer Thilo Sarrazin – schreibt: »Eine Kirche ist keine Moschee. Egal, ob sie Gläubige, Agnostiker oder Atheisten sind, die Franzosen sehen mit ihrem Herzen, was zehntausende Kirchtürme auf unserem Boden bedeuten: Sie sind das kulturelle Gedächtnis unseres Landes.«
Für Tillinac sind die Kirchen »die Wachposten der französischen Seele«: »Sie sind nach wie vor Zeugen. Ihre Silhouetten über den Dächern tragen bei zu einem Gefühl der mentalen Verwurzelung, das unsere Staatsbürgerschaft stützt und unsere Identität ausmacht.« Auf dem Cover des Magazins wird der Aufruf eindrucksvoll durch das Foto einer romanischen Kirche vor einer hügeligen Voralpenlandschaft illustriert. Es geht, das ist das Signal der idyllischen Szenerie, ums Eingemachte.
Tillinacs Appell haben sich 30 Intellektuelle, Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angeschlossen. Unterschrieben haben unter anderen der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy, diePhilosophen Alain Finkielkraut und Pascal Bruckner, der Humorist Basil de Koch, die Essayistin Elisabeth Lévy sowie der umstrittene Publizist Eric Zemmour, der in seinem Bestseller Le suicide français die These von der kulturellen Überfremdung Frankreichs vertritt.
Die Rechtslage ist im Prinzip klar. Um Kirchen, die vor 1905, also vor der Trennung von Kirche und Staat, gebaut wurden, müssen sich die jeweiligen Kommunen kümmern, den Unterhalt und die Renovierung gewährleisten. Das sind etwa 40 000 der insgesamt 45 000 Kirchen. Gotteshäuser, die nach 1905 gebaut wurden, gehören den Diözesen bzw. den religiösen Organisationen.
Die Debatte um die Kirchen trifft in Frankreich auf eine ohnehin schon angespannte Atmosphäre. Denn seit den Attentaten vom Januar sprechen nicht nur die Konservativen von einem Kampf der Kulturen. Selbst der sozialistische Premierminister Manuel Valls scheut sich nicht mehr, den Begriff des »clash of civilizations« zu benutzen. Der Historiker Pierre Nora sprach am Freitag von einer tiefen Erschütterung, weil innerhalb von drei Jahrzehnten der Islam zur sichtbarsten Religion Frankreichs geworden ist, die am stärksten in der Lage scheint, identitätsstiftend zu sein.
Werden die katholischen Franzosen von ihrer muslimischen Bevölkerung an den Rand gedrängt und am Ende ganz verdrängt? Genau davor warnen mehr und mehr Schriftsteller wie etwa Michel Houellebecq in seinem letzten Roman »Unterwerfung« (Soumission). Das Buch ist in Frankreich ein Bestseller.
Ist so etwas in Deutschland undenkbar? Leider nicht. In der Neuköllner Flughafenstraße 43 erinnern nur noch die Orgelpfeifen daran, dass hier christliche Gottesdienste stattfanden. Das Kirchenschiff ist leer, wo die Bänke standen, liegt rotbrauner Teppichboden. An der Stelle des Altars steht ein Treppchen für den Imam.
Draußen weisen Schilder darauf hin, dass Frauen und Männer getrennte Eingänge benutzen sollen. Das Gebäude war für 550 000 Euro an den muslimischen Verband interkultureller Zentren verkauftworden. Die frühere Kirche soll zu einem »Haus des Friedens« werden, in dem außer Gebeten »integrationsfördernde Projekte, soziale Beratung und Berufsorientierungskurse« stattfinden sollen.
Auch die Kirche in der Manteuffelstraße 4B in Tempelhof wechselte den Besitzer. Hier ist der arabische Verein Al Torath (»Erbe«) eingezogen. Auch hier wurden die Kirchenbänke abtransportiert.
Weiter wurden bisher »umgewandelt« die methodistische Kirche in Mönchengladbach und die Evangelische Notkirche Johannes in der Dortmunder Kielstraße. Die Verhandlungen um die Kapernaumkirche in Hamburg-Horn laufen noch.
»Seit Jahrzehnten beeindruckt Peter Scholl-Latour durch seine Expertise fremder Kontinente und Kulturen.« Helmut Schmidt
Es gärt und brodelt überall: Syrien und der Irak versinken im grausamen Bürgerkrieg aller gegen alle, in der Türkei ringen islamistische und säkulare Kräfte um die Vormacht. Ägypten ist im Daueraufruhr, und auch am Nordrand dieser unruhigen Weltgegend, im Kaukasus und in der Ukraine, ist die Lage explosiv.
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