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Freitag, 22. Januar 2016

Massenunruhen in Moldawien gegen den Beitritt zur EU

Massenunruhen in Moldawien gegen den Beitritt zur EU

Peter Orzechowski

Vor zwei Jahren erzwangen gesteuerte Proteste den Rücktritt der Russland-freundlichen Regierung in der Ukraine. Heute wiederholt sich das Gleiche in Moldawien – nur mit anderen Vorzeichen. Diesmal richten sich die Demonstrationen gegen den EU-Beitritt des Landes.

Zehntausende von Demonstranten protestieren vor dem moldawischen Parlament in Chișinău gegen die Entscheidung des Parlaments, Pawel Filip, einen pro-europäischen Politiker zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Filip gewann 57 von 78 möglichen Stimmen. Diese Tatsache ließ die Wut der Demonstranten so hochkochen, dass sie das Parlament stürmten. Es kam zu mehreren Verhaftungen und heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei.

»Dies ist eine illegitime Regierung und eine illegitime Parlamentsmehrheit«, erklärte der Chef der Sozialisten, Igor Dodon, in einem Gespräch mit RIA Novosti. Wie er sagte, besteht seine Partei weiterhin auf einer Auflösung des Parlaments und vorgezogenen Parlamentswahlen.

Renato Usatîi, Chef von »Unsere Partei«, steht ebenfalls hinter den Protestaktionen – bis zur Durchsetzung von Neuwahlen. Zugleich betonte er: »Wir sind für friedliche Protestaktionen. Keinesfalls sollen Staatsinstitutionen und Polizisten angegriffen werden.«

Anhänger der Bewegung DA (Würde und Wahrheit) riefen zur Vereinigung Moldawiens mit dem Nachbarland Rumänien auf und unternahmen Versuche, die Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Die Sicherheitskräfte mussten unter anderem Tränengas gegen die Rechtszentristen einsetzen.

Die führenden Repräsentanten oppositioneller linker Kräfte wie die Partei der Sozialisten und »Unsere Partei« riefen die DA-Anhänger, denen ein Durchbruch ins Parlament gelang, auf, das Gebäude zu räumen und die Proteste auf dem Platz vor dem Parlament fortzusetzen. Dem Chef von»Unsere Partei«, Renato Usatîi, zufolge habe es keinen Sinn, das Parlament zu stürmen, weil die Abgeordneten – umgekleidet in Polizeiuniform – das Gebäude schon längst verlassen hätten.

Bereits am Samstag hatten in der moldawischen Hauptstadt großangelegte Protestaktionen der oppositionellen Kräfte der Partei der Sozialisten, der »Unseren Partei« und der rechtszentristischen Plattform DA (»Würde und Wahrheit«) begonnen.

Die Sozialisten fordern ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Nicolae Timofti, weil er sich von der regierenden Macht am Gängelband habe führen lassen, als er Filip zum Kandidaten für das Amt des Premierministers ernannt habe.

Vergangenen September hatten bis zu 100 000 Menschen in der moldawischen Hauptstadt gegen den pro-europäischen Regierungskurs und wegen eines mutmaßlichen Korruptionsskandals, in der unter anderem die Regierung, die Führung der Zentralbank sowie die Generalstaatsanwaltschaft verwickelt sein sollten, demonstriert. Damals waren 1,3 Milliarden Euro verschwunden, was ungefähr einem Achtel der Wirtschaftskraft des Landes entspricht, deren Spur sich bei irgendwelchen Off-Shore-Banken verlor.

Als Folge sank der Lebensstandard und es kam zu einem signifikanten Anstieg der Inflation. Daraufhin war der damalige pro-europäische Ministerpräsident Valeriu Strelet durch das ParlamentEnde Oktober 2015 abgewählt worden. Vor dem Hintergrund dieser tiefen politischen Krise war das Land ohne Regierung in das neue Jahr eingetreten.

Die etwa 3,5 Millionen Einwohner zählende Republik Moldawien – oder auch Moldau genannt – liegt als Binnenstaat zwischen der Ukraine und Rumänien. Sie ist geopolitisch betrachtet der Durchgangsweg zwischen dem Ausläufer der Karpaten und dem Schwarzen Meer.

Georgien, Ukraine, Aserbaidschan, und Moldawien haben sich am 10. Oktober 1997 zu einer Sicherheitsallianz zusammengeschlossen, die ihren Namen aus den Anfangsbuchstaben der vier Staaten ableitet: GUAM. Langfristig streben die vier Staaten in die NATO.

Sollte dieser Fall eintreten, erhöht sich das heutige Konfliktpotenzial um ein Vielfaches, denn ein Angriff auf eines dieser Länder – wie zum Beispiel der Fünf-Tage-Krieg Russlands im August 2008 gegen Georgien – würde automatisch den NATO-Bündnisfall auslösen.

Konfliktpotenzial liegt im Südwesten der Ukraine und es heißt Transnistrien. Die abgespaltene Teilrepublik ist etwa so groß wie Luxemburg, aber im Gegensatz zu diesem ein 200 Kilometer langer, schmaler Küstenstreifen am Ostufer des Flusses Dnister. Es ging zwischen 1990 und 1992 im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion durch Trennung von Moldawien hervor.

Das Land mit seinen rund einer halben Million Einwohnern ist ein bedeutendes Zentrum der Schwerindustrie und steht unter entscheidendem russischen Einfluss; völkerrechtlich wird die Region weiterhin als Teil Moldawiens betrachtet. Bislang anerkennt kein anderer Staat und keine internationale Organisation das Gebiet als souveränen Staat.

Transnistrien ist aber seit 1990 de facto von der Zentralregierung in Chișinău (Moldawien) unabhängig und verfügt unter anderem über eine eigene Regierung, Währung, Verwaltung und Militär. Es ist Gründungsmitglied der Gemeinschaft nicht anerkannter Staaten. 1200–1400 Soldaten der russischen Streitkräfte sind im Land stationiert.

Sollte Moldawien gegen die Proteste seiner Bewohner der EU oder gar der NATO beitreten, wird es der nächste Konfliktherd in Osteuropa.




Es gärt in Europa. Wann wird sich die aufgestaute Wut entladen?
Schaut man sich das 20. Jahrhundert und die vielen Kriege und Bürgerkriege dieser Epoche an, dann gab es immer drei Vorboten der blutigen Gemetzel: wirtschaftliche Krisen, ethnische Spannungen und staatlichen Machtverfall. Trafen sie gleichzeitig zusammen, dann waren schreckliche Kriege unvermeidbar.



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